Das Leben alter und neuer Sorten
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"Tradition is not the worship of ashes, but the preservation of fire." - Gustav Mahler
Der Unterschied zwischen einer Art und Sorte ist manchmal nicht klar und eindeutig voneinander abzugrenzen. Mit jeder Generation findet eine weitere Anpassung durch Mutation oder Rekombination der Gene, sowie eine Auslese der Individuen durch vorherrschende Umwelteinflüsse (Frost, Trockenheit) bzw. die Vorlieben der Menschen, die diese Arten kultivierten, statt.
Symbiose von Mensch, Kultur und Pflanze
Insbesondere die sogenannten „alten Sorten“ tragen noch häufig den Ort ihrer Herkunft und eine ihrer Besonderheiten im Namen. Zum Beispiel der Radicchio mit seinen Sortengruppen Treviso tardivo, Tondo Rosso di Chioggia oder auch die Rosa di Gorizia & Puntarelle di Galatina. Jede Stadt kann hier stellvertretend für spezifische Sortenmerkmale gelesen werden. Diese Sortengruppen sind in ihren Erscheinungsbildern manchmal so unterschiedlich, dass es teilweise schwerfällt, sie überhaupt der gleichen Kultur zuzuordnen. So haben sich alle Sorten entlang von Kulturpraxis, individueller Selektionskriterien und zufällig vorgefundenen Phänotypen entwickelt.
Manchmal sind einzelne Sorten auch an bestimmte Gerichte gebunden bzw. hat sich eine sehr spezielle, lokale Form der Küche um diese Sorten herum entwickelt. Wie zum Beispiel die Bohne aus Barangeon, die ausschließlich zu Hochzeiten gereicht worden sein soll oder der der Calabaza de alma. Dieser Kürbis diente traditionell als Basis für die Füllung der „Torta de alma“: Eine halbmondförmige Süßspeise mit Kürbismarmelade und Honig. Früher bauten die spanischen Zuckerbäckerfamilien diese spezielle Kürbissorte noch selbst an, um genug Vorräte für ihre Zubereitung zu haben. Heute verwenden viele Konditor*innen jedoch industrielle Füllungen oder greifen auf die Kürbismarmelade „cabello de ángel“ zurück.
Manchmal waren einzelne Sorten auch noch viel mehr in das tagtägliche Leben eingesponnen und haben sich entlang der Bedürfnisse und Lebensweisen der Gemeinschaften vor Ort entwickelt. So zum Beispiel die Paprika Bixto de Tiruana. Diese Paprika-Sorte wird bzw. wurde hauptsächlich angebaut, um sie einzulegen um sie dadurch lange haltbar zu machen. Oft wurde sie zusammen mit gesalzenen Heringen und Brot von Kindern, Hirten und Bauern als Proviant auf langen Wegen gegessen. Die Paprika trägt mittlerweile den Namen des Dorfes, weil es die lokalen Bauern waren, die ihre Samen hüteten und sie zu einer der wichtigsten Kulturen des Sommers machten.
Tradition ist nicht das Festhalten an Vergangenem, sondern das Bewahren lebendiger Kultur.
Es scheint mir, dass vielmehr die Veränderung unserer Lebensweisen in den letzten Jahren dazu geführt hat, dass gewisse Sorten gemeinsam mit eben diesen Lebensweisen verschwunden, beziehungsweise rar geworden sind. Während es wichtig ist Traditionen zu bewahren und einzelne Sorten zu erhalten, können wir die Zeit jedoch nicht mehr zurückdrehen. Vielmehr sollten wir heute die Wertschätzung für lokale Formen der Ernährung wieder kultivieren. Mit Rücksicht auf die Geschmäcker und Vorlieben der Gemeinschaften, in denen wir uns bewegen (Solawis, Nachbarschaften, Viertel, Städte, Landkreise etc.) neue Landsorten kreieren, sowie alte aber auch neue Sorten mit unseren aktuellen Lebenssituationen verbinden. So lässt sich vielleicht langfristig wieder eine symbiotische Population aus Menschen und Pflanzen schaffen, die gemeinsam einen Ort bereichert und sich zusammen entwickelt.
Die "alten Sorten" der Zukunft
Um unsere eigenen Hofsorten – und damit die "alten Sorten der Zukunft" – zu entwickeln, dürfen so viele Sorten einer Art miteinander abblühen, wie wir auftreiben können. Getreu dem Motto "Lieb doch wen du willst!". Zu Beginn der Population wird weder gegossen noch gedüngt. Die Pflanzen sollen sich wieder an ihre Umweltbedingungen anpassen dürfen und nicht umgekehrt. Nachdem nun alles (genetisch) wild durcheinander gewürfelt wurde, sammeln wir das Saatgut der Früchte, die es zur Samenreife geschafft haben und säen es im nächsten Jahr wieder aus. Aus diesem neu geschaffenen Genpool wählen wir in den kommenden Jahren die Pflanzen aus, die uns am besten gefallen. Dabei spielt es keine Rolle, ob alle Pflanzen 80 cm hoch oder die Fruchtwände alle 3 mm dick sind. Erst eine diverse und uneinheitliche Population zu Beginn der Reise, ermöglicht uns die Selektion und Anpassung an die eigenen Anbaubedingungen und Vorlieben. Wenn alle gleich sind, kann ich nichts auswählen. Dabei starten wir manchmal so divers wie möglich (z.B. der Maxima-Grex) oder haben bereits von Anfang an ein klares Züchtungs-Ziel vor Augen, wie zum Beispiel bei der Salat-und Einlegegurke.
Hof- und Landsorten
Während wir uns also der Kreation neuer Hof- und Landsorten (Grex) verschrieben haben, kultivieren wir einzelne samenfeste Sorten und mehrjähriges Gemüse mit einer bestimmten kulinarischen Tradition oder weil sie bestimmte Eigenschaften mitbringen, wegen derer wir sie sehr schätzen. Du findest daher beides hier in unserem Shop.